Last Updated on 20. August 2020 by Gela
Aus dem Urwald in die Wüste. Dieser Wechsel fühlt sich ein bisschen an wie eine Heimkehr. Wüste heißt für mich schon immer heimkommen, runterkommen, entspannen, durchatmen, der Stille lauschen, den Horizont auf Zehenhöhe genießen. Nach der feuchten Hitze des Dschungels empfängt uns die trockene Wärme der Wüste auf unserer Reise durch die drei Amerikas wie ein zweites Zuhause.
Willkommen im Wohnmobil
In Phoenix, Arizona, USA, steigen wir vom Flieger in den Busshuttle und von dort in unser Wohnmobil. Auch das fühlt sich an wie eine Zuhause unterwegs. Zum ersten Mal seit drei Monaten packe ich die Kofferrucksackreisetasche vollständig aus, räume Klamotten in Schränke. Schränke gab es in den letzten drei Monaten kaum. Regale waren schon eine Besonderheit. Und oft lohnte es sich ohnehin nicht alles auszupacken, weil wir nur ein oder zwei Nächte blieben. Jetzt aber packen wir für drei Wochen aus, belegen unser Zuhause auf Rädern mit Beschlag.
Mir war bange vor der Automatikschaltung. Tatsächlich muss mir die freundliche Dame von der Wohnmobilvermietung in Phönix erst mal erklären, dass ich auf die Bremse steigen muss, um den Gang zu wechseln. Sie tut es auf deutsch, denn sie stammt aus Nürnberg. Danach läufts. Der Rest des Fahrzeugs bleibt mir noch lange ein Rätsel. Die erste Woche wird mit Reparaturen vergehen. Die Wasserpumpe ist hin, der Wasseranschluss nur durch Schwergewichtsathleten festzuschrauben, der Kühlschrank funktioniert nur mit Stromanschluss – willkommen zuhause! Kaum hat man etwas, hat man auch schon Probleme damit – war es jemals anders?
Zwei Nachmittage verbringen wir in Werkstätten. Unser Tourplan kommt komplett durcheinander. Macht nichts. Nach drei eiskalten Nächten am Grand Canyon ändere ich ihn ohnehin. Denn für den geplanten Bryce Canyon ist es schlicht noch zu früh im Jahr. Wir wählen stattdessen das Death Valley als nächste große Station und machen eine Wüstentour. Gute Entscheidung. So bleiben wir in meiner zweiten Heimat.
Die Wüste blüht
Der Grand Canyon mag als siebtes Weltwunder unumgänglich sein. Doch das wesentlich beeindruckendere Landschaftserlebnis hat schon vorher der Nationalpark Petrified Forest mit dem Painted Desert bei mir hinterlassen. Grand Canyon muss man einmal im Leben gemacht haben. Petrified Forest könnte ich dagegen beliebig oft wiederholen, ohne dass es langweilt. Nicht nur die versteinerten Bäume faszinieren, auch die bunten Berge der Mesa Verde und die in allen Rottönen glühenden Hügel des Painted Desert.
Zuhause sind wir aber auch, weil wir beide erst mal Schnupfen kriegen. Im trockensten Klima der Welt laufen uns die Nasen. Wüstenblüherallergie? Der Saguaro-Nationalpark bei Tuscon steht in voller Blüte. Die Wüste leuchtet gelb. In der Mojave mischt sich das Knallpink der Biberschwanzkakteen mit dem zarten Weiß der flachen Buschwindrosen. Nur im Death Valley blüht nichts. Dort ist es wohl schlicht zu heiß, zu trocken und zu salzig. Dafür lässt die weiße Salzkruste die Brauntöne der Erde rundherum erstrahlen.
Zuhause ist, wo die Spielsachen sind
Auch der Sohn fühlt sich wie zuhause. Das Heimweh plagt ihn nicht mehr wie zuletzt in Costa Rica. Liegt es an der Wüste oder am Wohnmobil? Oder vielleicht daran, dass es nun wirklich nicht mehr lange hin ist, bis er seinen besten Freund trifft? Die Wüste gefällt ihm jedenfalls sehr. Zu meiner Freude höre ich Sätze wie „Es ist einfach traumhaft hier.“ Auch ein Lied stimmt er an: „Ach wie schön ist die große Welt.“ Außerdem reist Erdmännchen als einziges Kuscheltier noch mit uns, und, so der Sohn: „Erdmännchen liebt die Wüste.“ Die Abwesenheit äußerer Reize tut der Kinderseele gut. Der Sohn kann sich lange mit einer einzelnen Pflanze beschäftigen. Oder er malt mit einem Stock Bilder in den Wüstensand. Spielzeug braucht er fast gar nicht. Doch einen Ball haben wir gekauft, Stifte, einen Block und eine Schere. Jetzt, wo wir nicht mehr alles tragen müssen, geht das. Und tatsächlich verbringen wir manche Mittage im Wohnmobil, wie zuhause. Ich schreibe. Der Sohn malt und bastelt. Seltener Frieden. Das Wohnmobil gefällt ihm mindestens so gut wie die Wüste. Tatsächlich kommt die Frage: „Mama, können wir bald wieder mit dem Wohnmobil verreisen?“
Ich bin extrem erleichtert. Denn des Sohnes Heimweh hatte schon arge Zweifel geschürt, ob vier Monate doch zu lang sind. Es hielt über Tage an. Immer wieder saß er auf meinem Schoß und sagte traurig: „Ich will nach Hause. Zu Berlin.“ Er vermisste seine Spielsachen, seine Freunde. „Ich weiß gar nicht mehr wie mein Zimmer aussieht.“ Ein bisschen besser wurde es, als er mit der Omi telefoniert hatte. Und wie weggeblasen war es nach der Landung in den USA. Wechsel, Wüste, Wohnmobil? Hauptsache kein Heimweh mehr.
Nachtrag März 2016: Mit diesem Text nehme ich – wie viele andere – an der Blogparade „Was bedeutet Zuhause“ teil, die Etienne von Vietmok aktuell ausrichtet. Darauf aufmerksam gemacht hat mich Steffi von freileben.net, die allein mit ihrem kleinen Sohn Jannik auf unbestimmte Zeit durch die Welt reist.